Für viele Unternehmen geht es im Augenblick ums nackte Überleben, sie müssen im Krisenmodus operieren. Gleichwohl möchte ich dazu ermutigen, bereits jetzt parallel die Zukunft mitzudenken, und wenn es nur mit einem äußerst kleinen Teil der verfügbaren Ressourcen ist. Die (schrittweise) Aufhebung des Shutdowns wird kommen und heutige (vorbereitende) Investitionen in den Übergang schaffen mehr Chancen für die Zukunft. Drei Bereiche erscheinen mir bedenkenswert.
„Quidquid agis, prudenter agas et respice finem.“ - Was auch immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende.
Jede Notmaßnahme, die in der Krise getroffen wird, hat einen Einfluss darauf, wie ein Unternehmen in der Zukunft wahrgenommen wird. Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden werden sich genau an das Verhalten von Unternehmen in der jetzigen Zeit erinnern. Solidarisch, kalt, verständnisvoll, berechnend, kreativ, sympathisch, bürokratisch, verantwortungsbewusst - es gibt viele Möglichkeiten. Daher sollten heutige Maßnahmen und die Art ihrer Umsetzung sowie Kommunikation auch immer dahingehend überprüft werden, was sie für zukünftige (Geschäfts)beziehungen nach der Krise bedeuten.
Das Wiedersehen im Büro nach dem Shutdown wird merk-würdig sein. Man wird nicht nicht so genau wissen, wie man sich verhalten soll. Wer bringt welche Belastungen aus dem privaten Umfeld mit, wer hat welche Ängste und Hoffnungen, was ist unausgesprochen im Raum? Es gilt, in dieser Übergangszeit proaktiv in Führung zu gehen, um Sicherheit zu vermitteln. Das Erleben aus der Krise braucht angemessen Zeit und Raum , damit es verarbeitet werden kann. Die Würdigung verhindert das Verdrängen und fördert die Wertschätzung und das Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch in den folgenden Phasen sollte regelmäßig darüber gesprochen werden, welcher Umgang miteinander dann angemessen ist, damit es nicht zu Missverständnissen kommt und man unnötig Energie verliert. Das Management des langsamen Übergangs zur Normalität sollte bewusst gestaltet und begleitet werden.
In Krisen nimmt man sich vor, Dinge in Zukunft anders zu machen - und vergisst es dann sehr schnell wieder. Das ist menschlich und normal. Genau deswegen sollte man die unmittelbare Zeit nach der Krise nutzen, um soweit wie möglich Maßnahmen zur Stärkung der eigenen Überlebensfähigkeit zu ergreifen; eben in dem Wissen, dass diese Maßnahmen über Zeit wieder geschliffen und als unnötiger Ballast betrachtet werden.
Konzeptionell bedeutet Resilienz von Unternehmen vor allem, Puffer einzubauen und Netzwerke so zu bauen, dass lokale Einheiten unabhängig von anderen operieren können. So werden Kettenreaktionen gedämpft.
Aus Unternehmensperspektive werden sicherlich die Fragen nach einer angemessenen Eigenkapitalquote, die Vertrauensbeziehung zur Hausbank, Liquiditätsmanagement und die Variabilisierung von Kosten eine große Rolle spielen. Auch Just-in-Time Lieferketten und Abhängigkeiten von Lieferanten / Dienstleistern werden bestimmt auf den Prüfstand gestellt und neu bewertet.
Die Krise setzt aber vor allem unsere Wirtschaft als Ganzes unter Druck. Dementsprechend sind in Punkto Resilienz Maßnahmen nötig, die unsere soziale Marktwirtschaft als Gesamtsystem stärken. Wir können uns - bei allen individuellen Existenznöten - z.B. glücklich schätzen, dass Kurzarbeit im großen Stil in unserem Wirtschaftssystem vorgesehen ist. Unternehmen könnten ihren Beitrag leisten, indem sie politische Versuche zur Erhöhung der Krisenfestigkeit unterstützen. Sozusagen Lobbyarbeit für marktwirtschaftliche Spielregeln, die die Widerstandsfähigkeit der Marktwirtschaft erhöhen. Als Diskussionsthemen böten sich z.B. an
In der Realwirtschaft
In der Finanzwirtschaft
Die Liste lässt sich bestimmt ergänzen und kontrovers diskutieren. Das sollten auch Unternehmensmanager tun!
In der Krise machen Unternehmen Dinge, die sie normalerweise nicht tun. Manches davon funktioniert erstaunlich gut und sollte beibehalten werden. Das Management kann bereits jetzt nach diesen Krisenchancen Ausschau halten und überlegen, wie sie in Zukunft stabilisiert werden können. Mir kommen dazu aus meinen persönlichen Beobachtungen folgende Themen in den Sinn:
Selbstverantwortung der Mitarbeiter. Wenn nichts mehr geht, geht auf einmal doch einiges. Für diese Krisensituation gibt es keine Pläne , deswegen sind Unternehmen auf die Eigeninitiative der Mitarbeiter angewiesen. Das Management kann in der Krise nur sehr beschränkt Orientierung geben und ist dazu gezwungen, vor allem seine Absicht klar zu machen: was ist jetzt wirklich wichtig, oder um mit den Spice Girls zu sprechen: What I really, really want. Solche Art von Orientierung erhöht den Spielraum der Mitarbeiter für Kreativität und Initiative. Das Führen über WAS und WARUM eignet sich auch für die Zeit nach der Krise.
Mut. Es ist befreiend zu sehen, was in der Krise einfach so geht. Viele bürokratische Absicherungsmechanismen sind außer Kraft gesetzt. Man konzentriert sich sehr praktisch darauf, was jetzt gebraucht und nützlich ist. Es wäre schön , wenn uns ein Teil dieses Pragmatismus und des Vertrauens, dass es schon gut gehen wird, erhalten bleibt. Natürlich birgt ein solches Vorgehen immer das Risiko von Missbrauch. Aber es lohnt sich, im Regelfall unkomplizierter zu sein für den Preis, dass manche es ausnutzen. Mit Mut geht mehr als wir denken.
Digitalisierung, klar. Die Krise ist ein Crashkurs in Sachen Digitalisierung. Viele Mitarbeiter entdecken, wie die Zusammenarbeit auf Entfernung durch Technik funktionieren kann. Den Schwung gilt es mitzunehmen, also ganz konkret: digitale Ausrüstung bereitstellen, schnelles Internet buchen (wo immer es geht) und weitermachen, ausprobieren, Experimente zulassen. Durch die angemessene Nutzung der Digitaltechnik können der Austausch und die Zusammenarbeit von Mitarbeitern wirklich besser werden.
Sensemaking. Die Krise fordert Unternehmen im Moment Umgang mit Nicht-Wissen. Wir sind darauf angewiesen, viele unterschiedliche Signale aufzunehmen und abzuwägen. Es gilt, unterschiedliche Perspektiven sorgfältig miteinander zu vergleichen und Entscheidungen so zu treffen, dass es erst einmal weitergehen kann und gleichzeitig Optionen erhalten bleiben. Es lohnt sich, die gemachten Krisenerfahrungen zum Entscheiden unter Unsicherheit zu reflektieren, um davon auch bei „einfacheren“ Entscheidungen im Alltag zu profitieren.
Die Coronakrise hat schon jetzt gigantische Ausmaße angenommen. Wir wissen nicht, wie wir als Gesellschaft mit den Folgen umgehen werden. Und man kann als Einzelner das Gefühl haben, machtlos zu sein. Und doch: jeder kann einen Beitrag leisten. Kleine Schritte wie hier vorgestellt addieren sich zu etwas Größerem. Der Blick geht nach vorn.