Blogbeitrag




Kultur ändern

Die Unternehmenskultur verändern - aber wie?

Timm Richter, 22. Juni 2020

Wer seinen Geschäftserfolg nachhaltig sicherstellen möchte, stellt häufig fest, dass die Unternehmenskultur dabei ein entscheidender Faktor ist. Dummerweise ist die Kultur aber ein sehr weiches Konzept. Wie bekommt man sie also „in den Griff“?

Vages Gefühl in eine geteilte Lageeinschätzung überführen

Meist fängt das Nachdenken über die Unternehmenskultur dann an, wenn man bei Veränderungsbemühungen nicht weiterkommt und man die Schwierigkeiten der ominösen Unternehmenskultur zuschreibt. Das ist dann meistens reichlich unkonkret. Hier erscheint mir die Schaffung von Transparenz als erster Schritt sehr sinnvoll zu sein. Zwei Fragen stellen sich: Wie nehmen wir die aktuelle Unternehmenskultur derzeit wahr? Und wird diese Wahrnehmung von allen geteilt bzw. welche Unterschiede gibt es z.B. nach Unternehmensbereichen, Funktionen oder Dauer Unternehmenszugehörigkeit?

Für die Schaffung einer Datengrundlage bieten sich Interviews und Online-Befragungen an. Erstere bringen Spezifika und kulturelle Besonderheiten (z.B. Geschichten, typische Handlungsmuster, typische Rituale, etc.) an die Oberfläche, letztere binden wirklich alle Mitarbeiten ein und stellen sicher, dass es keine blinden Flecken gibt.

Mit der Diskussion der Ergebnisse findet eine erste gemeinschaftliche Reflexion über die Unternehmenskultur statt, die ansonsten ja immer im Verborgenen wirkt und genau durch die Verhaltensweisen bestimmt ist, die man hier so ohne viel Nachdenken einfach macht. Durch diese Auseinandersetzung mit den Ergebnissen einer Kulturdiagnose gelingt es, ein eher vages Gefühl sehr konkret in die Diskussion zu bringen und auch unterschiedliche Perspektiven auf und Erlebnisse mit der Kultur sichtbar zu machen. Der erste Schritt zur Arbeit an der Kultur ist damit getan.

Veränderungsbedarf aus Umweltdruck ableiten

Als nächstes muss definiert werden, man ob überhaupt und wenn ja was an dieser jetzt für alle sichtbaren Ist-Unternehmenskultur ändern möchte. Obwohl die Kultur etwas Inneres der Organisation ist, sollte dabei der Blick trotzdem nach außen gehen. Denn Unterschiede in Unternehmenskulturen ergeben sich sehr stark aus den unterschiedlichen Marktumfeldern von Unternehmen. Und eine Unternehmenskultur ist dann gut (genug), wenn sie die Überlebensfähigkeit des Unternehmens im relevanten Marktumfeld unterstützt und sichert. Bei der Formulierung einer gewünschten Zielkultur gilt es also zu entscheiden, welche Verhaltensweisen so wichtig für das Überleben (= Erfolg) des Unternehmens sind, dass sie automatisiert und selbstverständlich sein sollten.

An erster Stelle stehen hierbei natürlich die Voraussetzungen für den Markterfolg beim Wettbewerb um Kunden, dem Geschäft im engeren Sinne. Wie muss eine Kultur in der jeweiligen Industrie und im Verhältnis zu Wettbewerbern sein, dass jenseits von Einzelentscheidungen die Attraktivität für Kunden gewährleistet, gefördert und verbessert wird? Darüber hinaus sind aber auch alle anderen Stakeholder - Mitarbeiter, Lieferanten, Gesellschaft - mitzudenken. Wie muss also eine Unternehmenskultur sein, damit Mitarbeiter mit der passenden Qualifikation hier arbeiten möchten, Lieferanten aktiv zum Geschäftserfolg beitragen und die gesellschaftliche Akzeptanz des Unternehmens und damit seine Lizenz zum Geschäftsbetrieb gewährleistet ist?

Wie wichtig dieses Umweltdruck und wie stark er Verhalten - positiv und negativ - und damit über Zeit auch die Kultur bestimmt, lässt sich aktuell sehr gut an prominenten Unternehmen beobachten, z.B: Tönnies, Wirecard, Trigema oder Zoom.

Auf Nordsterne und Unterlassungen konzentrieren

Eine Unternehmenskultur ist immer komplex und facettenreich. Insofern wird es kaum gelingen, einen Zielkultur umfassend zu definieren. Glücklicherweise ist das gar nicht nötig. Es reicht, die Aufmerksamkeit in der Kulturarbeit auf wenige Themen zu konzentrieren.

Nach der Durchführung der ersten beiden Schritte - Ist-Aufnahme und Klärung der Umweltanforderungen - werden sich die Hotspots der Kulturarbeit herauskristalliert haben. Nämlich welche unterschiedlichen Anforderungen aus der Umwelt führen zu den erfolgskritischen Zielkonflikten im Unternehmen? Und wie wollen wir die automatisierte Standardreaktion (=Kultur) auf diese wichtigsten Zielkonflikte ändern?

Die Formulierung der angestrebten Neujustierung im kulturellen Umgang mit diesen Zielkonflikten kann auf zwei Weisen erfolgen. Entweder definiert man, welche Verhaltensweisen im Zielkonflikt Priorität haben (positive Zieldefinition). Oder man legt fest, welche Grenzen auf gar keinen Fall überschritten werden dürfen (negative Zieldefinition). Wenn die Aufmerksamkeit auf wenige Themen gelenkt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man diese in der Kommunikation auch wirklich zum Thema machen kann.

Nicht appellieren, sondern „offizielle“ Spielregeln konkret ändern

Hat man für sich definiert, an welchen Fokuspunkten eine Änderung der Unternehmenskultur erfolgen soll, so steht die wirkliche Kulturarbeit noch aus. Die Verkündung von neuen Werten oder wünschenswerten Verhaltensweisen ist bergen dass Risiko, dass sie als Sonntagsreden abgetan werden. Auch häufige Wiederholungen - so notwendig sie sind - helfen nur bedingt. Eine Unternehmenskultur ist sehr stabil und nicht direkt veränderbar.

Was man allerdings ändern kann und sollte, sind die Strukturen und Prozesse im Unternehmen. Solche Veränderungen haben dann (über Zeit) Auswirkungen auf die Kultur. „Harte“ Änderungen der internen Spielregeln signalisieren auch, dass man eben nicht nur appelliert, sondern es ernst meint.

Einige Beispiele

  • Wer Teamarbeit möchte, kann individuelle Boni abschaffen
  • Wer mehr Innovation möchte, kann den Anteil von Neuprodukten vom Umsatz messen oder den Anteil der Investitionen erhöhen
  • Wer schneller werden möchte und mehr Eigeninitiative wünscht, kann Regeln abschaffen

Solche Änderungen von Spielregeln sind vor allem deswegen „hart“, weil sie spürbaren Veränderungen führen. Die Organisation merkt: hier wurde wirklich etwas entschieden, man meint es ernst. Und genau so kann man einen kulturellen Wandel in Gang setzen.