Blogbeitrag




Zoom & Co

Digitale Führung: Zoom allein, das kann‘s nicht sein

Timm Richter, 7. Oktober 2020

Viele Unternehmen und Führungskräfte sind stolz darauf, dass sie sehr schnell ihren Geschäftsbetrieb aus dem Home-Office heraus organisiert haben. Zu Recht. Dabei wurden vor allem physische Treffen vor Ort in Zoom oder Microsoft Teams übertragen ohne die Abläufe oder mentalen Modelle zu ändern. Copy / paste ohne Update sozusagen. Für die Zukunft wird das nicht reichen!

Digitales Arbeiten über Distanz ist eine andere Kommunikationsform, die anderen Regeln folgt

Digitale Medien bieten Chancen und Risiken in der Zusammenarbeit. Das reine Übertragen von Präsenztreffen in Videokonferenzen behält ohne Not die Vorstellung aufrecht, dass Interaktionen gleichzeitig stattfinden müssen. Dabei bieten digitale Medien gerade die Chance, auch asynchron zu arbeiten. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, „Stillarbeit“ produktiver zu machen, da man nicht durch Kolleg*innen abgelenkt wird und mehr Perspektiven ohne Groupthink-Phänomene genutzt werden können. Aber so etwas muss (anders) organisiert werden. Auf der anderen Seite ist eine spontane Zusammenkunft schwieriger zu bewerkstelligen, da man eben nicht voraussetzen kann, dass alle am Rechner sitzen. Hier hat man im Büro den großen Vorteil, dass zumindest alle Personen schon an einem Ort sind. Digitale Kommunikation erfordert und ermöglicht also einen anderen, geplanteren Umgang mit Zeit.

Der vielleicht größte Unterschied bei der digitalen Kommunikation ist die wesentlich geringere Wahrnehmungsbandbreite. In einer Videokonferenz gibt es zwar mehr Signale als in der rein schriftlichen Kommunikation oder beim Telefonieren, aber eben doch deutlich weniger als wenn man gemeinsam in einem Raum sitzt. Viele indirekte und unbewusste Hinweise aus Körpersprache, räumlicher Dynamik und der Aufmerksamkeitslenkung fehlen. Feedbackkanäle sind unterbrochen und oft genug hat man das Gefühl, in die Leere hineinzusprechen. Teilnehmer sind noch stärker als in einem physischen Treffen der Versuchung ausgesetzt, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen - gerade in Settings mit mehr Teilnehmern.

Für Führungskräfte sehe ich drei Bereiche, auf die sie achten sollten, um auch über digitale Medien wirksam zu führen.

Inhaltliche Arbeit mediumsangemessen organisieren

Im Gegensatz zu einer Präsenzinteraktion, die viel Raum (sic!) für Improvisation bietet, muss eine Arbeit über digitale Medien viel genauer und expliziter organisiert werden. Fehler und Ungenauigkeiten werden weniger verziehen. Ziel sollte es sein, möglichst viel Arbeit in Einzelarbeit und sehr kleinen Teams durchzuführen, da die Beschränkungen der Kommunikation über Videokonferenzen mit steigender Teilnehmerzahl deutlich zunehmen. Das erfordert, dass man sehr viel mehr Wert auf klare und möglichst eindeutige schriftliche Kommunikation legt. Nur so können auch andere, die an der Kommunikation nicht beteiligt waren, sich die Inhalte erschließen. Sprache wird noch wichtiger!

Und wenn Videokonferenzen über Zoom oder Microsoft Teams durchgeführt werden, sollte man das volle Kreativitätspotenzial der Technik ausnutzen. Das bedeutet z.B.

  • Möglichst viel in Breakouts und Kleingruppen arbeiten, um so viel persönliche Nähe wie möglich herzustellen
  • Whiteboard Tools wie Miro oder Mural nutzen, um Aufmerksamkeit zu lenken und parallele Arbeitsprozesse zu gestalten. Gleichzeitig viele neue Ideen zu entwickeln und zu bewerten ist etwas, was in physischen Interaktionen tatsächlich schwerer zu gestalten ist.
  • Feedback-Kanäle wie Abstimmungen in Zoom oder Mentimeter aktiv nutzen

Auf Macht- und Entscheidungsprozesse schauen

Digitale Kommunikation ändert Machtverhältnisse, dessen sollte man sich immer bewusst sein. Das fängt ganz simpel bei der Kompetenz an, digitale Medien souverän einzusetzen. Hat man einer Führungskraft in der Vergangenheit vielleicht nachgesehen, dass die Emails von der Assistenz ausgedruckt werden, so geht das bei den neueren digitalen Medien nicht mehr. Wer sie nicht beherrscht, ist von der Kommunikation abgeschnitten. Und digitales Analphabetentum nagt an der allgemeinen Kompetenwahrnehmung. Wer noch nicht mal Kommunikationsmedien beherrscht, der wird immer weniger sonstige Kompetenz zugeschrieben bekommen.

Da digitale Kommunikation - wie oben geschrieben - viel stärker choreografiert werden muss, liegt darin natürlich auch eine Chance der Führungskraft, Einfluss auszuüben. Über Formate, Agenden und Regeln der Kommunikation kann die inhaltliche Arbeit positiv beeinflusst werden. Das gilt nicht zuletzt für neue digitale Möglichkeiten, in einer Gruppe auf Konsens/Dissenz zu testen oder Entscheidungsprozesse zu strukturieren.

Wir werden außerdem erleben, dass die Präsenz vor Ort sich zu einem neuen Status- und Machtsymbol entwickeln wird. War in der Vergangenheit die Arbeit von zu Hause vielleicht ein Privileg, so wird sich diese Einschätzung drehen. Ich gehe davon aus, dass sich viele Vorstände und Geschäftsleitungen wieder physisch treffen werden, vor allem, wenn wichtige Entscheidungen anstehen. Führungskräfte möchten dann nahe an diesem Machtzentrum sein wollen. Präsenz bekommt dadurch eine viele stärkere Bedeutung. Gab es in der Vergangenheit bereits Machtgefälle zwischen dem Headquarter und Niederlassungen, so wird sich dieser Effekt auch im Headquarter zwischen Arbeit vor Ort und von zu Hause ausdifferenzieren.

Rollen- und Bindungssicherheit schaffen

In der Corona-Krise werden wir über die nächsten Monate viel stärker spüren, dass das gemeinsame Arbeiten vor Ort nicht nur etwas mit inhaltlicher Arbeit zu tun hat. Das Büro hat für viele Menschen darüber hinaus eine soziale Funktion: hier fühlt man sich anderen Menschen verbunden und zugehörig. Anders herum kann man als Führungskraft in physischer Präsenz Mitarbeiter*innen ganz anders, nämlich umfassender erreichen und ansprechen. Die tagtägliche Interaktion untereinander ist ein wesentlicher Mechanismus, um über Beobachtung und Imitation eine Unternehmenskultur zu entwickeln und zu erfahren. Auf diese Art werden Rollenerwartungen eingeübt und den Mitarbeiter*innen durch (auch implizites) Feedback Bindungssicherheit gegeben.

Diese Funktionen sind in digitaler Kommunikation nur unter deutlich erschwerten Bedingungen zu erfüllen - und bestimmt nicht vollständig. Führungskräfte sollten sich ausreichend Zeit nehmen, diese sozialen Bedürfnisse zu befriedigen - in 1:1-Gesprächen und Gruppen-Settings. Was sonst sehr stark informell mitlief, muss jetzt viel expliziter ausgeübt werden.

Und: es sollte unser aller Bestreben sein, wieder möglichst viel physische Präsenz herzustellen. Denn neben allem technischen Fortschritt aus digitaler Kommunikation, mit dem man Arbeit in Teilbereichen deutlich besser organisieren und (unnötige) Dienstreisen sparen kann, macht die Begegnung mit anderen Menschen eben einen wesentlich Teil des Wertes von Arbeit aus.



Wer sich intensiver mit modernen Organisation- und Führungskonzepten (Stichworte Agilität, New Work) auseinandersetzen und Bedingungen für ihre erfolgreiche Anwendung verstehen möchte, dem kann ich das Seminar „Agilität und Organisation“ von Simon, Weber and Friends empfehlen (Hinweis: ich bin als Seminarleiter mit dabei)

Teaser Agilität und Organisation