Ich glaube an die Kraft einer partizipativen Führung. Bei vielen Diskussionen im Zusammenhang mit New Work stört mich allerdings die phobische Ablehnung von Hierarchie. Dadurch bleiben Organisationen untern ihrem Potenzial und es wird oft sehr anstrengend für alle Beteiligten. Besser wäre es, Hierarchie angemessen zu leben und zu bejahen.
Organisationen gibt es deshalb, weil man in größeren Zusammenhängen mehr schaffen kann als alleine. Am Anfang entscheidet die Gründerin oder das Gründungsteam alleine, mit den ersten Mitarbeitern kann man noch alles mit allen in einem Raum besprechen. Ab 20-50 Mitarbeitenden ist das kaum mehr möglich und die Herausforderung nimmt mit weiter steigender Mitarbeitendenzahl zu. Es kann nicht mehr jeder mit jedem reden, Aufgaben werden verteilt, man spezialisiert sich und bildet erst informell, dann meist auch formell Gruppen (Teams, Abteilungen, Bereiche). Es entsteht also eine Ordnung, um überhaupt als Organisation handlungsfähig zu bleiben. Und das heißt vor allem in der Lage zu sein, Entscheidungen zu treffen. Um (in großen Organisationen) nicht immer alles wieder neu entscheiden zu müssen, um für Konsistenz in Entscheidungen zu sorgen und um Mitarbeitenden einen Orientierungsrahmen zu geben (der übrigens fast immer eingefordert wird), entstehen Entscheidungsprämissen, auf denen die weiteren Entscheidungen beruhen. Dies sind Programme (z.B. Vision, Strategie, Budgets, Ziele, Richtlinien, Qualitätsstandards), die Festlegung von Entscheidungswegen (Aufbau- und Ablauforganisation) und die Personalauswahl. Wer genau hinschaut, wird solche Entscheidungsprämissen in jeder Organisation finden. Ohne sie gäbe es nur Chaos.
Nun wird oft behauptet, dass man in modernen, agilen Arbeitsformen ohne Hierarchie arbeiten soll; dass Teams selbst entscheiden; dass man immer gemeinsam entscheidet.
Doch eine Organisation, und insbesondere Unternehmen, gibt es gar nicht ohne Hierarchie!
Denn jede Entscheidung basiert auf vorherigen Entscheidungen, die den Entscheidungsspielraum definieren, also eine hierarchische Vorgabe sind. Die oben genannten Entscheidungsprämissen sind genau solche ranghöhere Vorgaben, die weitere Entscheidungen rahmen. Wenn z.B. ein Team selbst entscheidet, so wurde doch vorher entschieden, an was das Team arbeitet und wer Mitglied im Team ist. Die Arbeit des Teams ist also in einem Kontext hierarchisch eingeordnet. Wenn gemeinsam entschieden wird, so gibt es immer jemanden hierarchisch übergeordneten, der dieses Entscheidungsprinzip mindestens mitträgt, also kein Veto einlegt.
Spätestens bei der Geschäftsführung hat man eine hierarchische Stelle erreicht, die jede Entscheidung der Organisation überstimmen kann. Selbst wenn eine Geschäftsleitung entscheiden sollte, dass es keine Hierarchien gibt, kann sie ihre Macht nicht abgeben, jederzeit diese Entscheidung revidieren zu können.
Und zu guter letzt: selbst wenn in einer Organisation formale Hierarchien vermieden werden, so werden sich (entsprechend stärker) informelle Hierarchien aufbauen. Manche Personen haben mehr Einfluss als andere und bestimmte Teams oder Gruppen haben faktisch Entscheidungshoheiten, denen sich andere unterordnen. Informelle Hierarchien sind insofern problematisch, als dass sie weniger besprechbar und änderbar sind als formale Hierarchien.
Wenn also Hierarchien sowieso immer da und oft genug auch nützlich sind - man denke an schnelle Entscheidungen in Krisenfällen oder das Machtwort bei von steckengebliebenen Konflikten -, dann sollte es meines Erachtens darum gehen, Hierarchie produktiv zu machen. Und das bedeutet für mich:
Jede Organisation ist auf Zusammenarbeit angewiesen, jeder Mitarbeitende erweitert die Perspektive und bringt Dinge ein, die andere vielleicht nicht sehen. Deswegen ist gut und richtig, für möglichst viel Partizipation zu sorgen. Wenn dann Einigkeit bei Themen herrscht: super. Wenn Dinge unentschieden bleiben, tragen Führungskräfte die Verantwortung, angemessen für eine Entscheidungsfindung zu sorgen, damit keine Paralyse entsteht. Führungskräfte sollte sich vor allem darauf konzentrieren, dass mit Entscheidungsprämissen ein guter Rahmen gesetzt wird, innerhalb dessen gearbeitet werden kann. Und es ist wichtig, das alle diesen Rahmen, seine Möglichkeiten und Grenzen kennen. Partizipative Führung heißt vor allem, immer im Kontakt zu bleiben. Wie bei einem Tanz ist Führung tatsächlich ein Führen-Folgen-Prozess, in dem es eine komplementäre (d.h. hierarchische) Beziehung gibt, in der jeder seine Rolle selbstbewusst wahrnimmt und man sich gleichzeitig menschlich auf Augenhöhe begegnet. Hierarchie klärt Rollenverhältnisse, um die Handlungsfähigkeit von Organisationen zu gewährleisten. Und ja, in unterschiedlichen Situationen können sich die Rollenverteilungen durchaus ändern.
Wer mehr über Hierarchie, Macht und andere Organisationsherausforderungen der neuen Arbeitskonzepte verstehen möchte, wird viele Aha-Erlebnisse im Seminar Agilität und Organisation von Simon, Weber & Friends bekommen. Zusammen mit drei anderen erfahrenen Kollegen vermittle ich Erkenntnisse, mit denen Berater, Coaches und Führungskräfte ihre Spielfähigkeit und Wirksamkeit in der Digitalisierung erhöhen. Ende November geht es in Berlin los.