Blogbeitrag




Frithjof Bergmann - Neue Arbeit

Neue Arbeit - Systemwechsel oder Systemstabilisierung?

Timm Richter, 10. November 2019

In vielen Organisationen wird über Neue Arbeit gesprochen. Die Bandbreite, was damit gemeint ist, ist riesengroß: von gesellschaftlicher Revolution bis zur Optimierung bestehenden tayloristischer Organisationen.

Frithjof Bergmann, der den Begriff Neue Arbeit eingeführt hat, will eine gesellschaftliche Revolution

Laut Wikipedia ist eine Revolution „ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt.“ Frithjof Bergmann strebt einen Systemwechsel an. Aus seiner Sicht ist die Lohnarbeit das Grundübel, mit dem die Menschen abhängig gemacht werden. Ein Arbeitsplatz ist der „Omni-Wert“, der uns den Lebensunterhalt sichert, Konsum ermöglicht und uns sozialen Status und Selbstachtung sichert. Alles wird dem Wachstum der Wirtschaft untergeordnet, das (neue) Arbeitsplätze verspricht. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus ist aus Sicht von Frithjof Bergmann ein Gegenentwurf zum aktuellen Wirtschaftssystem verloren gegangen, ohne das es eine neue Idee gäbe, die Menschen eine Alternative böte.

Die Neue Arbeit ist der Vorschlag von Frithjof Bergmann für einen anderen Gesellschaftsentwurf. Er möchte den Anteil der Lohnarbeit zurückdrängen bzw. geht davon aus, dass der Anteil durch Automatisierung sowieso zurückgehen wird. Statt dessen möchte er zwei Formen einer neuen Arbeit stärken: zum einen soll der Mensch das machen, was er wirklich, wirklich will. Darunter versteht Bergmann die durchaus lustvolle Freiheit daran, sein eigenen Wesen, seine Individualität durch befriedigende Arbeit zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen sollen die Menschen mit Hilfe von Technologie in die Lage versetzt werden, einen erhöhten Teil ihres Bedarfes zum Leben (Nahrung, aber auch Wohnen oder Gebrauchsgegenstände) durch Selbstversorgung zu decken. Hierdurch wird auch die Abhängigkeit von Lohnarbeit gesenkt. Bergmann schwebt vor, dass - ermöglicht durch Technologie - die Arbeit der Zukunft in kleinen Unternehmen und gemeinschaftlichen Kommunalzentren entsteht und erbracht wird.

In Summe steht Frithjof Bergmann für eine revolutionäre Utopie, die er Realität werden lassen will.

Neues Arbeiten stabilisiert das bestehende System und verschiebt den Fokus von Organisation auf Interaktion

Viele Unternehmen hingegen beschäftigen sich mit neuen Formen des Arbeitens aus dem genau entgegengesetzten Grund: sie möchten ihr Überleben sichern und das „alte“ System, ihr System, stabilisieren. Fortschrittliche Unternehmen haben erkannt, dass sie sich ändern müssen, um weiterhin im Spiel bleiben. Was wir beobachten ist eine Verschiebung von dem funktionalen tayloristischen Modell (Fokus auf formale Organisation) hin zu einem resonanten Netzwerkmodell (Fokus Interaktion von Individuen). Dies erfolgt aus zwei Gründen, die in der Umwelt von Unternehmen zu finden sind. Zum einen sind die Marktumfelder instabiler und unübersichtlicher geworden, so dass Unternehmen ihre interne Kapazität erhöhen müssen, schwache Umweltsignale schnell aufzunehmen und zu bewerten. Und zum anderen sorgen der zunehmende Kampf um Wissensarbeiter und deren zunehmende Bedeutung dafür, dass Unternehmen Arbeitsumfelder schaffen, in denen sich diese begehrten Wissensarbeiter wohlfühlen und beste Leistung bringen. Auf den ersten Blick freut man sich sicher, dass auf die Bedürfnisse von Mitarbeitern eingegangen wird. Auf den zweiten Blick kann man dies aber auch als Übergriffigkeit von Unternehmen interpretieren, wie Stefan Kühl das gemacht hat. So gesehen sorgen Unternehmen dafür, dass Mitarbeiter noch mehr aus sich herausholen (Stichwort Selbstoptimierung). Ein Vorarbeiter im klassischen Sinne ist gar nicht mehr nötig, die Mitarbeiter steuern sich selbst.

Was gut ist: die Gesellschaft wird für Organisationen relevanter

Egal, aus welchen Motiven man auf neue Formen des Arbeitens schaut - Umsturz oder Stabilisierung des bestehenden Systems - so zeigt sich ein Trend: wir diskutieren darüber, wie wir in Zukunft arbeiten wollen. Und das ist gut so! Es ist schön zu sehen, dass es Unternehmen nicht (mehr) gelingt, sich gesellschaftspolitischen Debatten zu entziehen. Und es gibt ja durchaus viele Unternehmer in neuen Startups und mittelständischen (Familien)unternehmen, die aus Überzeugung Formen des Arbeitens bevorzugen, die den Menschen in den Mittelpunkt ihres Denkens stellen. Und wer weiß: vielleicht setzen sich die von Frithjof Bergmann favorisierten kleineren Unternehmensformate evolutionär durch, da sie am Ende attraktiver für die Menschen sind.