Wenn sich jetzt viele Unternehmen daran machen, den Corona-Impuls zur Digitalisierung zu nutzen, lohnt es sich, mit etwas Abstand auf die grundsätzlichen und langfristigen Dynamiken der Digitalisierung zu schauen. Genau das haben Jan Poczynek, Andrea Schaffar und ich in einem öffentlichen Austausch zur digitalen Organisationsentwicklung gemacht. Hier 7 Thesen, die ich für einen erfolgreichen Umgang mit Digitalisierung für relevant halte.
Es ist müßig darüber zu streiten, ob man Digitalisierung mag oder nicht. Digitalisierung ist eine Form der Technik, und Technik setzt sich immer dann durch, wenn sie funktioniert, also Probleme löst. Weil es so schön einfach ist, nutzen wir unsere Smartphones, auch wenn wir die Datennutzung kritisch sehen. Sobald uns der bargeldlose Zahlungsverkehr nützlicher erscheint als Bargeld, wird er sich durchsetzen. Beim Einsatz von digitalen Techniken entstehen wie bei allen Techniken Folgeprobleme. Wenn man damit von Anfang an rechnet, kann man sich darauf proaktiver einstellen. Anstatt sich also der Digitalisierung zu verweigern, sollte man versuchen, auf die Entwicklung lenkend Einfluss zu nehmen, indem man Ziele formuliert und Grenzen setzt, die zu beachten sind.
Organisationen müssen vor allem deswegen eine Position zur Digitalisierung entwickeln, da die Digitalisierung in der Umwelt der Organisationen zu Veränderungen führt. Um langfristig zu überleben, müssen sich Organisationen diesen Veränderungen anpassen. Der Umweltdruck entsteht dabei auf unterschiedlichen Ebenen. Wettbewerber können durch Digitalisierung Kostenvorteile und Effizienzsteigerungen erzielen, auf die eine Organisation reagieren muss. Digitalisierung kann aber auch Märkte und Kundenverhalten radikal verändern, so dass sich Produkte und Dienstleistungen verändern (z.B. E-Commerce statt stationärer Handel, vom Telefon zu Zoom, vom Auto zum Mobilitätsanbieter). Und wenn Wissensarbeiter ein professionell digitalisiertes Arbeitsumfeld erwarten, dann wird der Grad der Digitalisierung ein Wettbewerbsvorteil bei der Gewinnung von Mitarbeitern.
Der Umgang mit digitalen Techniken und die Fähigkeit, ihre Chancen und Risiken gut einschätzen zu können, sind neue Kompetenzen. Wer dies beherrscht, wird nachgefragt, gewinnt also an Macht. Und wer nicht mitspielen kann oder will, fliegt irgendwann raus. Die digitale Welt nimmt einen immer größeren Teil unserer Lebenswirklichkeit und Aufmerksamkeit ein. Wenn Organisationen dort nicht mitspielen, setzen sie sich dem Risiko aus, nicht mehr (ausreichend) wahrgenommen zu werden.
In Ergänzung zur ersten These kann man feststellen, dass die Digitalisierung auch deswegen polarisiert, weil sie Widersprüche und die Gleichzeitigkeit von positiven und negativen Aspekten weiter auf die Spitze treibt. Dazu vier Paradoxien, die mir im Rahmen von Digitalisierung besonders wichtig erscheinen:
Jegliche Bemühungen zur Digitalisierung werden zu diesen und ähnlichen Paradoxien immer wieder eine Position beziehen müssen. Das macht es anstrengend und spannend.
Digital ist nicht besser als analog, aber anders. Und anders herum gilt das genauso. Dementsprechend geht es bei Digitalisierung nicht um ein „Entweder - Oder“, sondern ein „Sowohl - Als auch“. Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz entstehen dann, wenn die Stärken der beiden Modi genutzt und ausgebaut werden. Deswegen sollte man auch nicht versuchen, analoge Prozesse eins zu eins digital nachzubilden, sondern die speziellen Chancen von digitalen Formen nutzen. Digitale Musik muss nicht als Album gebündelt werden, E-Commerce wird viel weniger durch Lagerkapazitäten limitiert und eine Kommunikation über Slack folgt anderen Regeln als Email oder Brief.
Meistens wird im Organisationskontext die Digitalisierung vor allem wegen Effizienzgewinnen vorangetrieben. Das ist allgemein anerkannt. In den vielen Online Treffen über Zoom & Co habe ich zusätzlich den Eindruck gewonnen, dass Digitalisierung auch in kreativen Prozessen und bei Entscheidungen zu Verbesserungen führen kann. Einige Beobachtungen:
Übrigens: die meisten der heutigen KI-Algorithmen sind auch eine Form der Kreativität. Denn sie generieren auf eine digitale Weise Assoziationen und erkennen so Muster auf eine Weise, die unsere Fähigkeiten (in eng definierten Feldern) übersteigt und überrascht.
Digitalisierung ist eine Technik. Über ihren Einsatz wird entschieden. Und diese Entscheidungen werden durch Menschen und Gremien gefällt. Entscheidungssituationen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass nicht klar ist, was zu tun ist. Die Lösung ist nicht berechenbar. Wenn etwas digitalisiert wird, hat jemand entschieden, dass der entsprechende Prozess berechenbar ist und dementsprechend automatisiert und ausgelagert werden kann. Das gibt uns mehr Zeit, über die wirklich wesentlichen Dinge analog zu entscheiden.
Wer sich für Digitalisierung fit machen und neue Arbeitskonzepte verstehen möchte, wird viele Aha-Erlebnisse im Seminar Agilität und Organisation von Simon, Weber & Friends bekommen. Zusammen mit drei anderen erfahrenen Kollegen vermittle ich Erkenntnisse, mit denen Berater, Coaches und Führungskräfte ihre Spielfähigkeit und Wirksamkeit in der Digitalisierung erhöhen. Ende November geht es in Berlin los.