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Followers without leader

Vertrauen ist gut und ohne Kontrolle nicht zu haben

Timm Richter, 5. Januar 2020

Der Wert Vertrauen wird zu Recht hoch geschätzt, er ist eine unverzichtbare Grundlage für die Potenzialentfaltung von Menschen und Organisationen. Schade ist nur, dass der dazugehörige Schwesternwert Kontrolle einen so schlechten Leumund hat. Dabei ist Kontrolle genauso gut wie Vertrauen.

Kontrolle ist erstrebenswert

Die Zukunft ist stets ungewiss und wir streben danach, uns in dieser Welt zu behaupten. Das bedeutet aber nichts anderes als möglichst viel Kontrolle über zukünftige Ereignisse zu haben. Wir möchten gerne die Ziele erreichen, die wir uns gesetzt haben, und über den Gang der Dinge entscheiden. Nichts anderes passiert im wahrsten Sinne des Wortes, wenn wir Laufen lernen. Aber auch von Organisationen erwarten wir (und sie selbst von sich), dass sie die Dinge unter Kontrolle haben und verlässlich sind. Produkte sollen sicher Qualitätsstandards einhalten und - um mal ein konkretes Beispiel zu nennen - die Bahn pünktlich fahren. Wer in diesem Zusammenhang an Vertrauen appelliert, dem wird wahrscheinlich entgegnet, dass dies nicht reicht und eine vertrauensselige Naivität nicht angemessen ist.

Es bleibt festzuhalten: wenn wir es uns aussuchen können, dann hätten wir in der Regel lieber mehr Sicherheit bzw. Kontrolle. Und Unternehmen sollen zuverlässig und beständig, unabhängig von einzelnen konkret handelnden Personen, gleichbleibende Qualität von Produkten und Services liefern, mithin kontrolliert arbeiten.

Mit Vertrauen erschließt man Bereiche, an die direkte Kontrolle nicht heranreicht

Nun ist es allerdings so, dass eine vollständige Kontrolle gar nicht möglich ist. Es passieren immer und ständig unvorhergesehene Dinge, und Menschen verhalten sich anders als man denkt. Diese Unsicherheit nimmt in der heutigen Zeit eher noch zu. Um trotzdem handlungsfähig zu bleiben, braucht es Vertrauen. Vertrauen nimmt Zukunft vorweg, in dem man beim eigenen Handeln eine bestimmte Zukunft unterstellt und damit das Risiko eingeht, dass es auch anders kommen könnte. Wenn man vertraut, verlässt man sich auf andere Menschen oder auch Organisationen oder Systeme, d.h. man unterstellt, dass sie sich den eigenen Erwartungen gemäß verhalten werden.

Daran, dass die eigenen Erwartungen bei Vertrauen eine Rolle spielen, erkannt man, dass Vertrauen nicht voraussetzungslos ist. Die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen werden generalisiert und auf andere, zukünftige Situationen übertragen, deren Ausgang man noch nicht kennt. Niklas Luhmann sagte, dass Vertrautheit Voraussetzung für Vertrauen (wie für Misstrauen) ist.

Wenn Vertrauen funktioniert, dann hat man de facto seinen Kontrollbereich vergrößert, da andere Menschen, Organisationen oder Systeme den eigenen Handlungsbereich ausweiten und erwünschtes Verhalten an den Tag legen. Vertrauen ist die Ausweitung des Kontrollbereiches mit der Konsequenz, dass die Kontrolle indirekter und schwächer wird. Vertrauen ist eine andere Art von Kontrolle, nämlich Kontrolle 2. Ordnung: man überprüft nicht mehr (dauernd und alle) Handlungen von anderen, sondern fragt sich, ob das ausgesprochene Vertrauen in andere weiterhin gerechtfertigt ist. Wenn die eigenen Erwartungen enttäuscht werden, wird das Vertrauen wieder entzogen.

Wer durch Vertrauen gewertschätzt werden möchte, sollte Kontrolle zulassen

Bisher haben wir Vertrauen aus der Perspektive desjenigen betrachtet, der Vertrauen gibt, und argumentiert, dass Kontrolle immer mit dabei ist. Aus Sicht desjenigen, der Vertrauen bekommen möchte, wird Kontrolle häufig als Ausdruck von Misstrauen interpretiert und deswegen abgelehnt. Aber das kann man auch anders sehen: Vertrauen wird durch Kontrolle auch wertvoller.

Zunächst: Vertrauen, und vor allem blindes Vertrauen, bedeutet loslassen und nicht hinschauen. In der Übertreibung führt das dazu, dass derjenige, dem vertraut wird, allein gelassen wird. Man macht dann zwar automom sein eigenes Ding, aber mit Anerkennung und Wertschätzung wird es dann schwieriger. Wir schätzen Vertrauen, dass man uns ausspricht, ja vor allem dann, wenn wir das Gefühl haben, dass der andere ein begründetes Vertrauen ausspricht; dass er sich also von unserer Vertrauenswürdigkeit überzeugt hat. Dies bedingt, dass der andere die Chance hatte, unsere Verhalten mit seinen Erwartungen abzugleichen (= kontrollieren).

Wenn wir lernen möchten, ist Feedback äußerst hilfreich. Feedback setzt allerdings Kontrolle voraus, denn derjenige, der Feedback gibt, kontrolliert Ergebnisse gegen seine Erwartungen. Dafür muss man miteinander in Kontakt sein und seine Erwartungen kontinuierlich gegenseitig abstimmen.

So betrachtet entsteht ein alternatives Bild von Vertrauen und Kontrolle. Voraussetzung ist das In-Kontakt-sein oder Aufeinander-Bezogen-Sein von dem, der vertraut, und dem, dem vertraut wird. In dieser Beziehung baut man eine gemeinsame Historie und daraus abgeleitet Erwartungen für die Zukunft auf. Dies wiederum schafft Raum, um Vertrauen auszusprechen und den gemeinsamen Handlungsraum zu erweitern. Durch kontinuierliche Kontrolle (Feedback, Abstimmung) kann es gelingen, den Freiheits- bzw. Vertrauensraum so zu gestalten, dass das vorhandene Potenzial des Könnens entwickelt und genutzt wird.


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Teaser Agiltät und Organisation