Blogbeitrag




Organisationen

Warum gibt es überhaupt Organisationen?

Timm Richter, 4. Januar 2017

Wir sind überall umgeben von Organisationen. Wer sich von Organisationen ein Bild macht, hat eine Landkarte, mit der er in und um Organisationen besser navigieren kann. Das Buch „ Einführung in die systemische Organisationstheorie “ von Fritz B. Simon ist dafür ein guter Reiseführer [1].


Die Geschichte von Organisationen geht so:


Irgend jemand entscheidet sich, eine Organisation zu gründen. Mit dieser Entscheidung wird also eine Organisation ins Leben gerufen. Leben heißt hier unter anderem: entscheiden, wer zu der Organisation dazugehört und wer nicht. Eine Organisation grenzt sich von seiner Umwelt durch Mitgliedschaft ab. Dabei bedeutet Mitgliedschaft nicht, dass man als Mensch mit Haut und Haaren dazugehört. Sondern nur zu einem Teil. Das heißt als Person, als Maske (von lat. per „durch“ und sonare „tönen“). Und diese Person ist Teil der Organisation. Sie kann die Umwelt wahrnehmen, nimmt an der Kommunikation in der Organisation teil und kann die Organisation vertreten. Sie handelt im Namen der Organisation in der Rolle, die sie einnimmt. Damit entstehen mehrere Dinge gleichzeitig. Zunächst hat der Gründer viele Personen, die in der Organisation arbeiten und vor allem Entscheidungen treffen können. Und die Besetzung der Rollen durch Personen ist von den Menschen unabhängig — es können immer auch andere Menschen eingestellt werden. Dadurch ist eine Organisation in der Regel potenter als eine Person alleine und langlebiger. Der Gründer kann einen Teil seiner Macht auf Rollen in der Organisation übertragen. Dadurch entstehen Entscheidungswege und Hierarchie. Und damit nicht alles durcheinander geht, wird entschieden, was der Zweck der Organisation sein soll. So besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeit der Organisation abgestimmt und zielgerichtet abläuft.


Und dann ist der Gründer aus dem Spiel. Einmal etabliert, spielt die Organisation alleine: sie trifft Entscheidungen, die zu weiteren Entscheidugen führen. Und solange das so weitergeht, ist die Organisation am Leben. Die einzige (System)rationalität ist der Selbsterhalt. Und dazu sind eben Entscheidungen notwendig. Denn die Umwelt der Organisation enthält soviele Möglichkeiten, dass man nicht weiß, was zu tun ist. Nichts ist beweisbar richtig oder falsch. Es besteht Unsicherheit. Diese Unentscheidbarkeit wird durch Entscheidungen aufgehoben. Man tut so „als ob“ die Entscheidungen richtig wäre — und handelt dementsprechend. Für die Organisation wird dadurch Komplexität reduziert. Damit tauscht sie allerdings Unsicherheit gegen Zweifel: ob die Entscheidung richtig war? Man wird sehen — bis zur nächsten Entscheidung.


Wie dem auch sei, die Organisation schafft eine Geschichte von Entscheidungen, die die weitere Geschichte der Organisation bestimmen. Die Organisation schafft sich selbst. Über Zeit werden Entscheidungen erster Ordnung durch Entscheidungen zweiter Ordnung ergänzt. Nämlich durch Entscheidungsprämissen, die entscheiden, wie entschieden werden soll. Sie schränken den Entscheidungsspielraum der Organisation ein und geben damit Struktur und Stabilität. Entscheidungsprämsissen sind:


  • Programme (Zwecke, Abläufe)
  • Personen in Rollen
  • Kommunikationswege (formal, informal)
  • Kultur

Will man nun (das Verhalten einer) Organisation ändern, so trifft man andere Entscheidungen oder verändert die Entscheidungsprämissen. Man kann sich allerdings nie sicher sein, was dabei das Ergebnis ist. Denn Entscheidungen und (neue) Entscheidungsprämissen schaffen Geschichte und Spielregeln, nach denen die Organisation dann weiterlebt (entscheidet).


Kultur ist dabei noch schwieriger als die anderen Entscheidungsprämsissen, da Kultur unentscheidbare Entscheidungen enthält: sie ist „da“ und kann nicht explizit verordnet werden. Man kann noch nicht einmal sagen: hier ist die Kultur, sondern man merkt nur, dass man Dinge hier so macht. Und wenn man von der Kultur im Handeln zu stark abweicht, dann passt es eben nicht mehr. Über Kultur stabilisiert eine Organisation die Personalauswahl.


Wann überlebt nun eine Organisation? Wenn sie ausreichend gut an ihre Umwelt angepasst ist, um im Spiel zu bleiben. Um im Spiel zu bleiben, ist sie auf Ressourcen angewiesen, die es in der Umwelt gibt. Mit diesen ist die Organisation strukturell gekoppelt, d.h. sie entwickeln sich gemeinsam in Koexistenz und beeinflussen sich auch gegenseitig. In der Umwelt gibt es die bekannten Stakeholder, die für das Überleben einer Organisation von Bedeutung sind: Kunden, Kapitalgeber, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit.


Um zu überleben braucht jede Organisation zunächst: Geld. Das bekommt sie (am Anfang) von den Kapitalgebern und danach (hoffentlich irgendwann und in ausreichender Menge) von den Kunden. Wenn die Kunden nicht ausreichend zufrieden sind, dann gibt es kein Geld mehr und die Organisation stirbt. So ist das bei Wirtschaftsorganisationen [2]. Bei anderen Organisationen (z.B. Krankenhäusern, Schulen, Universitäten, Polizei) müssen die Geldgeber (Eigentümer, Staat, Stiftungen, Mitglieder, Spender [3]) zufriedengestellt werden, d.h. die Geldgeber müssen mit der Mittelverwendung zufrieden sein. In der Regel ist das der Fall, wenn die Kunden (Kranke, Schüler, Studenten, Bürger) aus Sicht des Geldgebers ausreichend gut bedient werden. Wie man sieht, gibt es aus praktischer Sicht ein Primat (notwendige Voraussetzung), dass die Kunden der Organisation zufriedengestellt werden. Also der Zweck der Organisation erfüllt wird. Wobei es aus der Innensicht der Organisation auch ein anderer Zweck sein könnte — solange eben ausreichend Ressourcen da sind. Hinreichend für das Überleben einer Organisation ist es, wenn sie ausreichend Mitarbeiter findet, die für sie arbeiten wollen und sie sich im Rahmen dessen bewegt, was die Öffentlichkeit als akzeptabel vorgibt (z.B. Recht, öffentliche Meinung).


Die Umwelt hat auch etwas von der Organisation. Und zwar jede Umwelt das, was sie gerne hätte. Die Kunden Produkte und Services, die Kapitalgeber Zins bzw. zufriedene Kunden. Die Mitarbeiter bekommen Geld für den eigenen Lebensunterhalt sowie (hoffentlich) ein Sinnangebot und Anerkennung. Und die Öffentlichkeit lässt die Organisationen zu, die zum Gemeinwohl beitragen.


[1] Fritz B. Simon hat viele Quellen für seine hervorragende Darstellung herangezogen. Die wichtigste Quelle ist von Niklas Luhmann „Organisation und Entscheidung“. Sehr inhaltsschwer und nicht so leicht verdaulich.


[2] Neben der klassischen Art, direkt über Umsätze von zahlenden Kunden den Kapitalzins zu verdienen, gibt es zwei weitere Arten. Man kann den Kapitalzins indirekt erwirtschaften, indem man einer Kundengruppe Produkte und Services bietet und eine andere Kundengruppe dies finanziert (z.B. Werbemodelle; Marktplätze, auf denen nur eine Seite bezahlt). Oder es gibt Modelle, wo Kapitalgeber darauf hoffen, dass andere Kapitalgeber ihre Anteile übernehmen. Dann muss die Organisation (zunächst) nicht die Kapitalkosten verdienen.


[3] Ehrenamtliche Tätigkeit und unternehmerische Selbstausbeutung sind zwei weitere Arten, wie indirekt Ressourcen zum Überleben der Organisation zur Verfügung gestellt werden: man braucht weniger Geld, um Mitarbeiter zu bezahlen.