Blogbeitrag




Beispiel Wertequadrat

Ein Wert kommt selten allein

Timm Richter, 18. November 2019

Viele Leitbilder von Unternehmen wirken seltsam fad, denn wer kann schon etwas gegen die dort genannten Werte sagen. Die notwendige Würze kommt dann ins Spiel, wenn man die dazugehörigen balancierende Werte anschaut, die in Leitbildern meistens unter den Tisch fallen.

Werte gibt es nur im Doppelpack

In Unternehmensleitbildern werden in der Regel die Werte aufgelistet, die einem Unternehmen wichtig sind. Häufig reagieren Mitarbeiter auf diese Werte mit Schulterzucken oder auch Zynismus reagieren. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe:

Zum einen kann es sein, dass diese Werte gar nicht gelebt werden, sondern von der Unternehmensführung nur normativ gewünscht werden. Dass man etwas nicht als einen eigenen Wert bezeichnen sollte, wenn es sich nur um eine Norm handelt, habe ich in einem früheren Beitrag beschrieben.

Zum anderen spüren Mitarbeiter sehr genau, dass im Unternehmensalltag immer zwei Werte gelebt werden müssen, die in Spannung zueinander stehen. Viele Unternehmen fordern z.B., dass man Neues ausprobieren soll, manche bezeichnen sich vielleicht auch zu Recht als innovativ. Gleichzeitig spüren die Mitarbeiter, dass man Bewährtes wiederholen soll. Wenn man das nicht macht, wäre man ja blöd. Die Balance zwischen diesen beiden Werten zu finden, ist nicht so einfach. Wenn man eine der beiden Seiten überbetont, setzt man sich dem Risiko aus, dass man entweder starr Immer nur das Gleiche macht oder aber Immer wieder das Rad neu erfindet. Wer nur einen Wert benennt ohne ihn ins Verhältnis zu dem balancierenden zweiten Wert zu setzen, lässt seine Mitarbeiter alleine. Einseitige Leitbilder helfen nicht.

Ein konkretes Praxisbeispiel: die Werte der Wertekommission e.V.

Diese Logik der Wertequadrate, die auf Paul Helwig und Nicolai Hartmann zurückgehen und von Prof. Schulz von Thun populär gemacht wurden, lässt sich wunderbar an den Werten der Wertekommision betrachten. Die Wertekommission setzt sich für eine werteorientierte Unternehmensführung ein, was ich wirklich großartig finde. Sie hält 6 Werte für wichtig, deren Verbreitung in der Praxis auch regelmäßig durch eine Umfrage überprüft wird, und zwar: Vertrauen, Verantwortung, Integrität, Respekt, Mut und Nachhaltigkeit.

Genau. Dagegen kann man nichts haben. Aber im Unternehmensalltag werden eben auch die balancierenden Werte wertgeschätzt, manchmal sogar stärker. Wir fordern z.B. Integrität von Mitarbeitern, aber unser Alltag ist vielleicht viel stärker von Loyalität geprägt - gegenüber dem Unternehmen, dem Vorgesetzten oder den Kollegen. Oder um anderen vertrauen zu können, muss man zuvor durch Kontrolle erst eine Vertrauensbasis schaffen - alles andere wäre naive Leichtgläubigkeit, die man zu Recht kritisieren kann.

In der Tabelle finden sich die 6 Werte der Wertkommission mit den jeweiligen balancierenden Werten und ihren Übertreibungen. Erst in dem Spannungsfeld eines Wertequadrates wird die Bedeutung der einzelnen Werte klarer und man sieht, welchen Werte-Dilemmata man ausgesetzt ist.

Wertequadrate für die Werte der Wertekommission

Leitbilder sollten auch klarmachen, wogegen man sich entschieden hat

Die Gestaltung von Leitbildern ist dann besonders wertvoll, wenn man sehr bewusst zwei Entscheidungen trifft und auch kommuniziert. Mit der ersten Entscheidung signalisiert man, welche Wertequadrate für das Unternehmen besonders im Fokus stehen - im Gegensatz zu anderen Wertequadraten, die nicht so wichtig sind. Diese fokussierten Wertequadrate sollten sich an der Umwelt des Unternehmens orientieren und besonders wichtig für das Überleben sein.

In der zweiten Entscheidung kann man dann aufzeigen, welchen der beiden balancierenden Werte man im Moment stärker betonen möchte - unter Umständen sogar im Gegensatz zu dem Wert, der aktuell stärker gelebt wird. Dabei sollte auch klar sein, dass sich diese Betonung über Zeit auch ändern kann.

Eine solche Einstellung ist anstrengender für alle Beteiligten, denn man erkennt an, dass Werte kontextbezogen interpretiert werden. Werteorientierte Führung heißt dann, dass man sich den Spannungen in Wertequadraten bewusst ist und die Balance in konkreten Situationen immer wieder neu bespricht und klärt.