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Followers without leader

Wie gehen Machtspiele? Oder: du willst es doch auch!

Timm Richter, 4. Dezember 2019

Seien wir ehrlich: jeder von uns freut sich, wenn man seinen Willen bekommt. In New Organizing Sprech heißt das übersetzt: eine (visionäre) Idee haben und diese mit Ausdauer und vielen Experimenten im Team Wirklichkeit werden lassen. Gestaltungswille eben, denn nur so kommt das Neue in die Welt. Um seinen Wille zu bekommen (z.B. die Welt positiv verändern), muss man Machtspiele spielen.

Macht und Einfluss sind paradox: sie entstehen, wenn jemand gegen seinen Willen etwas will

Der Wunsch, seinen Willen zu bekommen, steht (in Organisationskontexten) häufig vor folgendem Problem: man ist auf die Unterstützung von anderen, d.h. deren Goodwill (sic!) angewiesen, aber die anderen haben andere Interessen, wollen also nicht so recht mitspielen. Lasst uns der Einfachheit annehmen, dass es sich um zwei Personen, Alter und Ego, handelt.

Ego will in einer Situation mit divergierenden Interessen dafür zu sorgen, dass Alter doch das will, was Ego selbst will, obwohl Alter es eigentlich nicht will. Wenn Ego das gelingt, dann hat Ego Macht und Einfluss über Alter. Gegen den eigenen Willen etwas wollen ist dabei das definierende, paradoxe Kriterium von Macht. Denn wenn Alter und Ego sowieso unabhängig von einander das Gleiche wollen, dann stellt sich die Machtfrage gar nicht, sie wird überhaupt nicht sichtbar. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass wir oft um Konsens bemüht sind. Denn bei Einigkeit müssen wir die Machtfrage nicht stellen und alle können sich machtvoll fühlen (siehe auch meinen vorherigen Artikel zu Entscheidungen und warum es wichtig ist, dass es Macht gibt).

Macht und Einfluss sind Push- bzw. Pull-Strategien, um seinen Willen zu bekommen

Wenn Einigkeit nicht gegeben ist und man trotzdem seinen Willen bekommen möchte, so bieten sich zwei gegensätzliche Strategien an: Macht und Einfluss.

Macht ist eine Push-Strategie. Man kann sie dann anwenden, wenn man am längeren Hebel sitzt. Niklas Luhmann würde dazu sagen, dass der Machtvollere in einer Beziehung weniger austauschbar ist. Macht ist also Nicht-Austauschbarkeit. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn sich viele Arbeitnehmer um einen Job bewerben, ist der Arbeitgeber in der machtvolleren Position, denn er hat den begehrter Job (ist weniger austauschbar), während die Bewerber austauschbar sind. Hat ein Arbeitnehmer hingegen Fähigkeiten, die stark nachgefragt sind (z.B. ein Data Scientist), kehrt sich die Macht um. Dann sind für den Data Scientist die Arbeitgeber austauschbar. Wer also dafür sorgt, dass er selbst weniger und andere mehr austauschbar sind, der verbessert seine Machtposition. Der weniger Machtvolle fügt sich übrigens freiwillig dem Willen des Machtvolleren, da er dies dem Risiko vorzieht, dass der Machtvollere seine Macht ausspielt. Macht beruht also strukturell auf Drohung mit nicht wünschenswerten Alternativen, was erklärt, warum es als aggressiv wahrgenommen wird und wir uns bemühen, diese Strategie möglichst dezent einzusetzen. Die Ironie dabei ist, dass diese Stärke auf Basis einer Drohung nur solange besteht wie der Bedrohte mitspielt, d.h. er diese Nicht-Austauschbarkeit für sich auch so wahrnimmt. In diesem Sinne entscheidet der weniger Machtvolle, ob der andere wirklich Macht hat. In einer Machtbeziehung ist der Mächtigere also auch immer abhängig vom anderen.

Beim Einfluss hingegen ist es offensichtlicher, dass der Machtvollere sehr wohl auch abhängig ist von den weniger Mächtigen. Denn Einfluss bekommt man von anderen zugesprochen, sie entscheiden, wieviel Einfluss sie geben wollen. Einfluss ist eine Pull-Strategie in dem Sinne, dass man nur indirekt versuchen kann, seinen Einfluss zu vergrößern. Man macht also Angebote und ist darauf angewiesen, dass die anderen darauf eingehen. Um seinen Einfluss zu vergrößern, versucht man, Kompetenz zu zeigen (sachliche Ebene) und in sozialen Kontexten als derjenige akzeptiert und gesucht zu werden, der Gruppen führt („Führungsspieler“). Über Zeit entsteht dann eine Reputation, die weiteren Einfluss sichert, unabhängig davon, worauf diese Reputation sich ursprünglich gegründet hat.

Wie man an den bisherigen Ausführungen merken kann, wird der Begriff Macht übrigens häufig mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet: im engeren Sinne ist Macht die Androhung von nicht gewünschten Konsequenzen, im weiteren Sinne wird der Machtbegriff oft auch als Synonym für Einfluss verwendet und bezeichnet dann die Situation, dass der Machtvolle seinen Willen bekommt.

Wer Macht ausübt oder die Vertrauensfrage stellt, beendet (möglicher Weise) das Machtspiel

Macht und Einfluss beruhen also immer auf Freiwilligkeit. Sie setzen voraus, dass Alter sich dem Willen von Ego freiwillig fügt. Sobald dieser freie Wille des sich Fügenden nicht mehr gegeben ist, ist das Machtspiel beendet. Dies kann auf zwei Weisen passieren.

In der Logik der Push-Strategie kann Ego seine Macht tatsächlich ausspielen und seine Drohung wahrmachen. Dann übt Ego Gewalt aus und Alter kann sich nicht wehren. Sobald das aber geschehen ist, ist das Spiel vorbei und die Machtbeziehung beendet. Wer seine Macht ausübt, hat keine Macht mehr. Beispiel: Wenn ein Vorgesetzter die Drohung wahrmacht und einen Mitarbeiter entlässt, hat er keine Macht mehr über den Mitarbeiter, da die Rollenbeziehung beendet wurde.

Bei Einfluss kann das machtvollere Ego die Vertrauensfrage stellen. Das ist im Grunde die Frage, ob Alter bereit ist, öffentlich zu bekennen, dass er willig ist zu folgen. Damit setzt sich Ego dem Risiko aus, dass Alter das Vertrauen verneint und der Einfluss und damit die Machtbeziehung beendet ist. In der schwächeren Variante bekundet Alter zwar Vertrauen, meint es aber nicht so und die (Macht-)Beziehung ist auch beschädigt. In beiden Fällen hat Ego sein Blatt überreizt. Wenn Alter hingegen Ego aus voller Überzeugung das Vertrauen ausspricht, kann dieses öffentliche Bekenntnis blindem Vertrauen Vorschub leisten, weil man sich an seinen Treueschwur gebunden fühlt. Wird Vertrauen übertrieben, indem man auf kritischen Distanz vollständig verzichtet, kommt es zur Selbstaufgabe. Alter gibt jeden eigenen Willen auf und wird Ego hörig.

Und Monty Pythons „Life of Brian“ zeigt, dass aufgrund dieser vertrackten Machtbeziehungen ein Mächtiger durchaus auch ohnmächtig sein kann.


Brian (vor einer großen Menschenmasse): „You don‘t have to follow me. You are all individuals!“

Die Masse einstimmig im Chor: „Yes, we are all individuals“.


Wer mehr darüber lernen möchte, wie man erfolgreicher mit Machtverhältnissen in agilen Kontexten umgehen kann, ist herzlich eingeladen, am Seminar Agilität & Organisation von Simon, Weber & Friends teilzunehmen. Mehr Infos gibt es hier.

Teaser Agiltät und Organisation